Sozialwissenschaft Karim Fereidooni betreibt keine Schreibtischwissenschaft
Der Rassismus-Experte trägt seine wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Schulen und in die Politik.
Was ist Alltagsrassismus? Wo und in welcher Form tritt er auf? Wie kann man an Schulen Rassismuskritik thematisieren? All das sind Fragen, mit denen sich Prof. Dr. Karim Fereidooni seit Jahren wissenschaftlich beschäftigt – und zu denen er aufklärt, Lehrkräfte ausbildet, berät. Seit sieben Jahren ist Fereidooni an der Ruhr-Universität, zuletzt als Juniorprofessur im Bereich Fachdidaktik an der Fakultät für Sozialwissenschaft. Ab dem 1.Juli besetzt er die W2-Professur für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung.
In der Mitte der Gesellschaft
„Rassismus hat sich gewandelt. Wir reden heute von Alltagsrassismus“, weiß Fereidooni. Als Fachdidaktiker forscht Fereidooni seit vielen Jahren vor allem zu Rassismus an Schulen und Diskriminierungserfahrungen von Lehrkräften. In Kürze erscheinen seine Berichte zum Forschungsprojekt „Antisemitismus an Schulen“ sowie zu „Demokratie- und Partizipationsvorstellungen von geflüchteten Schüler*innen.“ Aktuell ist er zudem in ein Forschungsprojekt zu rassistisch motivierter Polizeigewalt eingebunden.
Rassismus ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Karim Fereidooni
Insgesamt, so fasst Fereidooni zusammen, habe man in Deutschland versäumt, zu lernen, über Rassismus zu reden. „Wenn das Thema aufkommt, werden Schutzbehauptungen aufgestellt wie etwa: Das gab es mal. Wir können gar nicht rassistisch sein, denn wir sind doch demokratisch.“ Rassismus würde am rechten Rand verortet und in anderen Teilen der Welt. Die Forschung zeige jedoch, dass 42 Prozent der Deutschen rechtspopulistische Einstellungen teilen, 49 Prozent glauben an Rassen. „Rassismus ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Man findet ihn etwa im Gesundheitswesen, auf dem Arbeitsmarkt oder dem Wohnungsmarkt“, so der Experte.
Didaktik des Rassismus
Im Rahmen seiner Professur möchte Fereidooni an laufende Forschungsprojekte anknüpfen. Vor allem hat sich der Fachdidaktiker vorgenommen, in den nächsten Jahren zwei Monographien zu verfassen. „Während der Juniorprofessur war dafür keine Zeit. Gemeinsam mit meiner Kollegin Nina Simon aus Leipzig schreibe ich an einer Einführung in die Rassismuskritik, das sich an eine breitere Öffentlichkeit richten soll“, so Fereidooni.
Außerdem möchte er ein Überblickswerk für Lehramtsstudierende und Lehrkräfte aller Fächer verfassen, das den Titel Didaktik der Rassismuskritik tragen soll. „Die Analysebrille der Rassismuskritik soll ihre Kompetenzen erweitern, ihnen helfen, ihren Job gut zu machen“, betont Fereidooni. Dabei soll es zum einen um fachwissenschaftliche Hintergründe zum Alltagsrassismus gehen und zum anderen um fachdidaktische Inhalte und konkretes Unterrichtsmaterial: Wie plane ich eine Unterrichtssequenz zum Thema racial profiling? Wie kann man zur NSU arbeiten? Und wie vermittelt man die rechtsradikalen Inhalte der AfD?
In die Umsetzung gehen
Wichtig ist dem ehemaligen Lehrer auch der regelmäßige Austausch mit Schulen und Lehrkräften. „Ich will keine Schreibtischwissenschaft betreiben“, betont Fereidooni. In Fortbildungen und Workshops mit Lehrkräften bespricht er Fälle, Handlungsoptionen und entwickelt Lösungsansätze. „Die Lehrkräfteaus- und -fortbildung ist wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit. Ich erhoffe mir, dass die Lehrkräfte künftig besser auf Vorfälle reagieren können.“
Wir haben kein Erkenntnisdefizit. Wir haben ein Umsetzungsdefizit.
Karim Fereidooni
Darüber hinaus ist Fereidooni seit einigen Jahren in der Politikberatung tätig. Seit 2020 berät er die Bundesregierung, gehört der Kabinettskommission der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtextremismus und dem „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ des Bundesinnenministeriums an. „Mir sind Studienergebnisse wichtig. Aber noch viel wichtiger sind mir konkrete Handlungsmaßnahmen, die die Politik umsetzen kann“, so Fereidooni. „Wir haben kein Erkenntnisdefizit. Wir haben ein Umsetzungsdefizit. Das möchte ich beheben.“
Zu unbequemen Themen forschen
An der Ruhr-Universität rennt der Forscher mit seinem Thema und seinem Engagement offene Türen ein und fühlt sich vor allem dem neuen Rektorat eng verbunden. „Ich schätze sehr, dass das jetzige Rektorat sich intensiv für Diversität einsetzt und Prof. Dr. Isolde Karle als Prorektorin für Diversität viele Maßnahmen auf den Weg gebracht hat. Da setzt die RUB in der deutschen Hochschullandschaft neue Maßstäbe“, so Fereidooni, der seine Expertise in den Thinktank und in die Universitätskommission Diversität einbringt. Er schätze außerdem den Aufbruch-Spirit, die flachen Hierarchien und die Hands-on-Mentalität und sei dankbar für die Kolleg*innen der eigenen Fakultät und anderer Fakultäten und RUB-Einrichtungen, etwa der PSE, die unprätentiöse Art ins Gespräch zu kommen und Kooperationen voranzutreiben. „Hier habe ich die Freiheit, zu Themen zu forschen, die vielleicht auch ein bisschen unbequem sind.“