Die Klinik geht auf die Bedürfnisse jedes Patienten und jeder Patientin individuell ein. Die Mitarbeit der Betroffenen ist unerlässlich für den Erfolg der Behandlung. © Damian Gorczany

Medizin Was tun gegen Schwerhörigkeit im Alter?

Gut hören ist dank Hightech heute auch im Alter leichter möglich als früher. Diese Möglichkeiten gibt es.

Viele kennen das Bild noch aus ihrer Kindheit: Oma oder Opa sitzen mit am Tisch, bekommen aber vom Gespräch nur die Hälfte mit und klinken sich irgendwann aus. „Altersschwerhörig – das ist eben so“, war sich die Familie einig.

„Schwerhörigkeit ist keine logische Folge des Alters“, erläutert Privatdozentin Dr. Christiane Völter, Spezialistin für HNO-Heilkunde. „Hörverlust kann durch Unfälle, Stoffwechselerkrankungen, Infektionen im Laufe des Lebens oder durch degenerative Prozesse entstehen, und all das trifft Menschen in höherem Alter statistisch häufiger“, erklärt sie. Mit diesem Schicksal finden sich die Betroffenen heute nicht mehr einfach ab. „Die älteren Leute sind viel aktiver, sie treiben Sport, engagieren sich in Vereinen, machen Musik. Sie wollen keine Höreinschränkung hinnehmen.“

Die Vögel nicht mehr zwitschern hören

Anfangs lässt sich der Hörverlust noch kompensieren. „Zuerst kann man wegen der Verluste im Hochtonbereich die Vögel nicht mehr zwitschern hören und es wird schwierig, Laute wie th, f, s und sh zu unterscheiden“, erklärt die Fachärztin für Phoniatrie und Pädaudiologie der Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Ruhr-Universität im St. Elisabeth-Hospital. Wenn es dann aber anstrengend wird, sich am Gespräch in geselliger Runde zu beteiligen oder gar die Beziehung mit dem Partner zu leiden anfängt, weil einer der beiden nur noch wenig oder langsam versteht, gehen die Leute zum Arzt.

Hier geht es zunächst darum, die Art und das Ausmaß des Hörverlustes zu bestimmen und die individuellen Voraussetzungen sowie die Erwartungen des Patienten zu klären. Zu den Tests, die die Mediziner in der Klinik durchführen, zählt zum Beispiel ein Sprachhörtest zur Überprüfung des Zahlen- und des Einsilberverstehens.

„Neuerdings berücksichtigen wir aber auch die kognitiven Fähigkeiten der Patienten, zum Beispiel ihre Aufmerksamkeit, das Langzeitgedächtnis, die Verarbeitungsgeschwindigkeit und das Arbeitsgedächtnis“, erklärt Christiane Völter. „Aktuelle Studien haben gezeigt, dass Hörminderung und Demenz in engem Zusammenhang stehen.“ Patienten mit Hörverlust erkranken demnach überproportional häufig in den folgenden Jahren an einer Demenz.

Vor der Behandlung muss genau getestet werden, welches Ausmaß die Hörbeeinträchtigung hat, wo das Problem genau liegt und welche Voraussetzungen die Patientin oder der Patient für die mögliche Behandlung mitbringt. © Damian Gorczany

Wie genau die Abhängigkeit ist, ist noch ungeklärt. Denkbar wäre, dass beiden Erkrankungen eine ähnliche Ursache zugrunde liegt, oder aber dass durch die vermehrte Höranstrengung keine kognitiven Ressourcen für andere Dinge vorhanden sind. Auch könnte der durch eine Hörstörung verursachte soziale Rückzug dazu führen, dass die Betroffenen zu wenig Input von außen bekommen und dadurch geistig abbauen.

„Fest steht, dass bei Demenzkranken in der Praxis viel zu selten das Hören überprüft wird“, bemängelt Christiane Völter. „Und das, obwohl die Demenz-Diagnostik zum großen Teil auf der Kommunikation basiert.“ Eigene Untersuchungen am RUB-Klinikum haben erste Hinweise ergeben, dass einzelne Bereiche der Kognition mehr mit dem Hörvermögen, andere mehr mit dem Alter assoziiert sind.

Großes Angebot an Hörhilfen

Wenn feststeht, welches Ausmaß der Hörverlust hat und wo genau das Problem liegt, beraten die Mediziner die Patienten im Hinblick auf die möglichen Therapien. Audiotraining, konventionelle Hörgeräte, implantierbare Mittelohrsysteme oder Knochenleitungsimplantate und Cochlea-Implantate umfasst das Angebot.

Konventionelle Hörgeräte entsprechen schon lange nicht mehr denen, die man aus früherer Zeit kennt. „Die verstaubten meist in der Schublade, weil die Betroffenen nur wenig profitierten“, erklärt Christiane Völter. Heutzutage passen Hörgeräteakustiker das Hörgerät individuell an. In der Regel können die Betroffenen unterschiedliche Geräte probetragen.

Durch technische Weiterentwicklungen wie zum Beispiel die Integration mehrerer Mikrofone helfen die Geräte, Umgebungslärm zu unterdrücken, sodass die Träger auch bei Störgeräuschen Sprache besser verstehen können. Weil die technischen Komponenten immer kleiner werden, tolerieren die Träger Hörgeräte auch unter kosmetischen Gesichtspunkten viel besser als früher.

Moderne Hörgeräte sind klein und werden individuell angepasst. © Damian Gorczany

Neben den konventionellen Hörgeräten existieren mittlerweile unterschiedliche teilimplantierbare Hörsysteme. Implantierbare Mittelohrhörsysteme werden in einer mikrochirurgischen Operation an die Gehörknöchelchenkette angekoppelt und sind eine Option für schwerhörige Menschen, die aufgrund wiederholter Gehörgangsentzündungen mit herkömmlichen Hörgeräten nicht ausreichend versorgt werden können.

Ist eine normale Schallübertragung über den Gehörgang und das Mittelohr zur Hörschnecke auf normalem Wege nicht möglich, gibt es unterschiedliche Knochenleitungsimplantate. Bei hochgradigem Hörverlust oder einer vollständigen Ertaubung kann ein Cochlea-Implantat (CI) helfen.

Seine Elektrode wird ins Innenohr eingeführt und der Hörnerv darüber direkt elektrisch gereizt. Das Cochlea-Implantat umgeht damit das Ohr als eigentlichen Eingang für Schallwellen. „Der Höreindruck unterscheidet sich dadurch erheblich vom Gewohnten, und das Hören muss erst neu gelernt werden“, sagt Christiane Völter. Das bedeutet für den Patienten aber auch eine Menge Arbeit. 

Der Sprachprozessor eines Cochlea-Implantats wird außen getragen. Etwa 130 solcher Implantate haben die Ärzte der HNO-Klinik der RUB im Jahr 2016 eingesetzt. © Damian Gorczany

So erzielen die Patienten mit einem CI nur den vollen Nutzen, wenn sie nach der Implantation und der Aktivierung des Implantates über längere Zeit aktiv eine Rehabilitation durchführen. Gemeinsam mit Logopädinnen oder Logopäden trainieren sie intensiv das Sprachverstehen im direkten Gespräch. Danach werden schwierigere Hörsituationen wie zum Beispiel das Telefonieren simuliert und geübt. Die Erfahrung der Ärzte zeigt jedoch, dass nicht jeder Betroffene die notwendige Motivation zu einem solchen Training mitbringt.

„Es kommt auch vor, dass Patienten nicht in vollem Umfang zu einem solchen Training in der Lage sind“, erklärt Christiane Völter. „Wir versuchen daher, schon bei der ausführlichen Diagnostik vor der Operation die zu erwartenden Ergebnisse realistisch einzuschätzen.“

Neben der klinischen Tätigkeit liegt Christiane Völter die wissenschaftliche Evaluation des Nutzens der neuen technischen Hilfsmittel am Herzen. Wann macht es Sinn, sie einzusetzen? „Hier gilt es zum Beispiel einzuschätzen, ob man einem Menschen mit einer schon seit langer Zeit bestehenden Hörminderung noch mit einer Innenohrprothese versorgen soll“, erläutert sie, „oder aber um die Einbindung neuer Entwicklungen. Bei welchen Neuerungen reicht die derzeitige Datenlage schon aus, um sie einzusetzen?“

Wichtig ist der enge Austausch in einem interdisziplinären Team mit Ingenieuren, Hörgeräteakustikern, Ohrchirurgen oder Therapeuten. „Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind“, so Christiane Völter, „unsere Maxime ist: Wie würde ich es bei mir selbst oder meinem eigenen Kind machen?“

Christiane Völter sucht für jeden Patienten die passende Hörhilfe. © Anette Wenzig

So glaubte man früher, dass ein gesundes Ohr völlig ausreicht. Heute weiß man, dass gerade für das Sprachverstehen im Störlärm, aber auch für das Richtungshören zwei Ohren von großer Bedeutung sind. Nun wollen die Forscher ermitteln, ob sich die einseitige Versorgung mit einer Hörhilfe auch in einer reduzierten Anstrengung beim Hören widerspiegelt. Das lässt sich durch die Ableitung eines EEGs oder durch die Messung der Pupillenweite bestimmen.

Die Spezialisten arbeiten außerdem daran, die Hörrehabilitation evidenzbasiert überprüfbar zu machen, denn Hören und Verstehen sind sehr subjektiv. Sie verfolgen auch telemedizinische Ansätze. In einer Kooperation mit Spezialisten vom RUB-Institut für Kommunikationsakustik um Prof. Dr. Rainer Martin geht es um eine Verbesserung des Musikgenusses für CI-Träger.

Auch wenn die Implantate für das Sprachverstehen optimiert sind, übermitteln sie weniger genau die Feinstruktur eines Klanges, was bislang den Musikgenuss für CI-Träger mindert. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine Vereinfachung der Musik ein möglicher Weg ist, den Patienten wieder zu mehr Freude daran zu verhelfen.

Wie das Gehirn sich anpasst

„Was uns im Augenblick umtreibt, ist die Frage nach dem Ausmaß der Plastizität des menschlichen Gehirns“, sagt Christiane Völter. So gibt es elektrophysiologische Daten, die belegen, dass bei Schwerhörigen primär für das Hören verantwortliche Bereiche des Gehirns durch visuelle Reize aktiviert werden. Aber auch eine Rückbildung dieser kortikalen Reorganisation durch eine Cochlea-Implantation konnte gezeigt werden. „Hieraus könnten sich wichtige Impulse im Hinblick auf geplante Hörtherapien ergeben.“

Download hochauflösender Bilder
Der Download der gewählten Bilder erfolgt als ZIP-Datei. Bildzeilen und Bildnachweise finden Sie nach dem Entpacken in der enthaltenen HTML-Datei.
Nutzungsbedingungen
Die Verwendung der Bilder ist unter Angabe des entsprechenden Copyrights für die Presse honorarfrei. Die Bilder dürfen ausschließlich für eine Berichterstattung mit Bezug zur Ruhr-Universität Bochum verwendet werden, die sich ausschließlich auf die Inhalte des Artikels bezieht, der den Link zum Bilderdownload enthält. Mit dem Download erhalten Sie ein einfaches Nutzungsrecht zur einmaligen Berichterstattung. Eine weitergehende Bearbeitung, die über das Anpassen an das jeweilige Layout hinausgeht, oder eine Speicherung der Bilder für weitere Zwecke, erfordert eine Erweiterung des Nutzungsrechts. Sollten Sie die Fotos daher auf andere Weise verwenden wollen, kontaktieren Sie bitte redaktion@ruhr-uni-bochum.de

Dokumentedownload

Unveröffentlicht

Von

Meike Drießen

Dieser Artikel ist am 2. Mai 2017 in Rubin 1/2017 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

Teilen