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Von Einzelkämpfern zum Siegerteam
Beim WORLDFACTORY Demo Day kürte sie die Jury zum Top-Start-up der Ruhr-Universität Bochum 2024. Ihre Idee wird mit 1,37 Millionen Euro im Rahmen eines EXIST-Forschungstransfers gefördert – eine der höchsten Fördersummen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für ein RUB-Vorhaben. Die Rede ist von mechIC, kurz für mechanical Integrated Circuits, ein Gründungsvorhaben der vier Forschenden Dr. Philip Schmitt, Steffen Wittemeier, Dr. Lisa Schmitt und Henning Mays.
Sieben Jahre ist es her, dass Philip Schmitt vom Lehrstuhl für Mikrosystemtechnik der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik (ETIT) das erste Mal den Gedanken hatte, ein eigenes Start-up zu gründen. Bloß eine konkrete Idee ließ noch auf sich warten. „Ich wollte gerne einen eigenen Sensor rausbringen, aber es war noch nicht so richtig klar, welchen“, erklärt der Wissenschaftler. Trotzdem habe er strategische Entscheidungen getroffen und Patente angemeldet, immer mit dem Hintergedanken, seine Ideen irgendwann zu verwerten. Aus einem richtigen Gemisch sei dann die Idee für einen vollkommen neuen Dehnungssensor entstanden.
Marktpotenzial gemeinsam erkannt
Steffen Wittemeier war vor seiner Zeit am Lehrstuhl für Mikrosystemtechnik als Teil der Universität Paderborn am Projekt UpFuse beteiligt. Hier haben er und Philip Schmitt sich kennengelernt. Gemeinsam haben sie an Mechaniken und RFID (radio-frequency identification) Kommunikation für Beschleunigungssensoren gearbeitet. Bei RFID handelt es sich um eine Technologie, die den kontaktlosen Datenaustausch mittels elektromagnetischer Funkwellen ermöglicht. Zusammen mit den Erfahrungen von Lisa Schmitt in der Werkstoffprüftechnik seien sie auf das große Potenzial für die Dehnungssensorik gestoßen. „Dieser Markt“, so Steffen Wittemeier, „ist weniger umkämpft als der Markt für Beschleunigungssensoren. Es bringt nichts, nur aus der Wissenschaft heraus zu gründen, auch die richtige Idee und das Marktpotenzial müssen vorhanden sein, denn sonst verkauft man nichts“, erklärt er. In der Wissenschaft finde man häufig die Lösung, noch bevor man das passende Problem dazu kenne.
Das Konkurrenzprodukt, Dehnungsmessstreifen, ist bereits 1936 erfunden worden und hat sich seither kaum verändert. „Die Messstreifen und die Auswerteelektronik sind zwar optimiert worden, der Sensor selbst arbeitet aber nach wie vor nach demselben Prinzip“, so Philip Schmitt. Dehnungsmessstreifen nehmen eine mechanische Dehnung auf und wandeln diese in eine elektrische Widerstandsänderung um. Diese Technik ist aufwendig und erfordert viel weitere Elektronik.
Nach und nach habe Philip Schmitt daher Lisa Schmitt, Steffen Wittemeier und schließlich Henning Mays für die Entwicklung eines eigenen mechanischen Dehnungssensors gewinnen können. Der mechIC-Sensor arbeitet nach einem komplett neuen Prinzip. Er verarbeitet das Dehnungssignal mechanisch und benötigt deshalb keine separate Energieversorgung. „Ohne Philip hätte ich dieses Abenteuer nicht gestartet“, meint Steffen Wittemeier. „Es hilft enorm, nicht allein zu sein.“
Wo Kräfte, da Dehnungen
Dehnungssensoren sind weitverbreitet, da Dehnungen überall dort auftreten, wo Kräfte wirken. Eine handelsübliche Küchenwaage besitzt beispielsweise einen solchen Sensor, der mit Energie aus einer Batterie gespeist wird. „Unsere Dehnungssensoren sind etwa vier mal vier Millimeter groß und geben direkt ein digitales Signal der Messung aus“, erklärt Philip Schmitt. Außerdem könne der Chip neben Echtzeitmessungen auch ausgewählte Grenzwerte mechanisch speichern und benötige für eine Dauerüberwachung daher keinen Strom, sagt Steffen Wittemeier.
Statt auf mikroelektronische Bauteile setzt das Team auf mikromechanische Komponenten und Schaltungen. Diese werden auf einem Silicium-Chip integriert. Dadurch sollen die Sensoren ressourcenschonender, in weniger Arbeitsschritten und mit weniger Gefahrstoffen hergestellt werden. Der Sensor erfasse, nach Philip Schmitt, das Gewicht, das Drehmoment oder ähnliche Größen, die auf die Komponente wirken. Um die gespeicherten Daten trotzdem mit einem digitalen Endgerät auslesen zu können, nutze man NFC (Near Field Communication), bei der die Energieübertragung mitintegriert ist. „Wir können unseren Chip beispielsweise in eine Brücke einbetonieren und über einen bestimmten Zeitraum die Belastung durch Fahrzeuge aufzeichnen und anschließend mit einem Mobiltelefon auslesen“, so Philip Schmitt.
Eine funktionierende Kette
Als Steffen Wittemeier und Philip Schmitt sich nach zwei Jahren virtueller Zusammenarbeit das erste Mal persönlich gegenüberstehen, um ihre Gründungsidee zu besprechen, sei das ein kurioses Gefühl gewesen, erinnert sich Philip Schmitt. Als Wissenschaftler sei man oft Einzelkämpfer. „Jetzt arbeiten wir zu viert an einem Thema und kommen mit großen Schritten voran, weil wir uns super ergänzen“, meint er. Während Philip Schmitt das Design und die Simulation des Sensor-Chips übernimmt, strukturiert Teamkollege Henning Mays im Reinraum das Silizium des Chips, so dass am Ende die gewünschte Funktionalität herauskommt.
Es bringt nichts, aus dem gleichen Fahrwasser zu kommen.
Steffen Wittemeiers Arbeitsbereich ist die Programmierung und Schaltungsentwicklung und Lisa Schmitt verantwortet den Aufbau der Unternehmensstrukturen. „Alle Produktionsschritte müssen gut aufeinander abgestimmt sein, um am Ende einen funktionstüchtigen Sensor auf den Markt zu bringen“, so Steffen Wittemeier. „Es bringt nichts, aus dem gleichen Fahrwasser zu kommen.“ Gründer müssen, anders als Wissenschaftler, noch mehr Projektverantwortung übernehmen, sich um IT-Infrastrukturen und die Buchhaltung kümmern, und auf breiter Front zusammenarbeiten.
Die Summe aller Teilerfolge
Das schönste Ereignis der letzten Monate? „Das erste Video, das zeigt, wie Philip ein Dehnungssignal gemessen hat“, meint Steffen Wittemeier. Das sei der erste optisch funktionierende Sensor gewesen, der beweisen konnte, dass das Prinzip funktioniere und das Team auf dem richtigen Weg sei. Eine funktionierende Simulation sei mittlerweile weniger aufregend; umso faszinierender hingegen das Gefühl, zu sehen, dass eine selbstentwickelte Prozesskette funktioniert. „Ich kann eine selbstgebaute Hardware berühren und verändern und auf dem Computer eins zu eins die Antworten ablesen,“ so Steffen Wittemeier.
Schöne Tage gibt es immer wieder.
„Schöne Tage gibt es immer wieder“, findet Philip Schmitt. Gerade heute sei auch wieder so ein toller Tag gewesen, an dem Steffen Wittemeier mit Programmen auftrumpfen konnte und Versuchsaufbauten fehlerfrei funktioniert haben. „Das sind technische Teilerfolge, die in Summe aber das ergeben, was das mechIC-Vorhaben ausmacht.“
Frühzeitig das Abenteuer vorbereiten
Zwei Jahre vor dem Antrag für den EXIST-Forschungstransfer hat Philip Schmitt bereits den Kontakt zum WORLDFACTORY Start-up Center (WSC) der Ruhr-Universität Bochum gesucht, um sich auf das Vorhaben vorzubereiten. „Seitdem haben uns zwei Mentorinnen begleitet, eine von der WORLDFACTORY und eine vom Inkubator Materials. In regelmäßigen Abständen haben wir das Gründungsvorhaben mit unseren Mentorinnen besprochen und verschiedene Schulungsmaßnahmen besucht“, erklärt er. Auch an kleineren Förderprogrammen, wie dem Proof-It-Wettbewerb, habe das Team teilgenommen. „So hat man einfach schon mal ein bisschen Geld in der Tasche, um sich ausprobieren und einen Grundstein für das Gründungsvorhaben zu legen“, so Philip Schmitt. „Uns hat vor allem der externe Input enorm geholfen, sonst wären wir nicht so weit, wie wir jetzt sind“, ergänzt Steffen Wittemeier.
Der nächste Schritt: Die Gründung
Noch in diesem Jahr möchten Lisa Schmitt, Philip Schmitt und Steffen Wittemeier offiziell ihr Start-up mechIC gründen. Im nächsten Jahr sollen dann erste Sensoren gemeinsam mit größeren Unternehmen im Rahmen eines Venture Clienting getestet und anschließend Demonstratoren verkauft werden. „Da die Sensoren bei verschiedenen Umweltbedingungen mit hoher Zuverlässigkeit funktionieren müssen, wird das allerdings noch ein bisschen dauern“, sagt Philip Schmitt. Später will das Team sein Portfolio noch um Temperatursensoren, Beschleunigungssensoren und ähnliches erweitern.
Das WORLDFACTORY Start-up Center (WSC) unterstützt als zentrale Anlaufstelle für Gründung und Transfer alle Gründungsinteressierten dabei, ihre Ideen von der Wissenschaft in die Wirtschaft zu überführen.
Neben kompetenter Beratung, Netzwerkevents, Workshops und Wettbewerben stellt das WSC die Räumlichkeiten und die Infrastruktur zum Erproben innovativer Ideen bereit. Das WSC wird als „Exzellenz Start-up Center.NRW“ durch das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.
4. September 2024
10.56 Uhr