Mit Fördermitteln vom Europäischen Forschungsrat hat Carmen Meinert ein einzigartiges interdisziplinäres Team zusammengestellt.
© Tobias Schündelen

Religionswissenschaft Wie eine Weltreligion entsteht

Im Interview erzählt Carmen Meinert, wie sie mithilfe eines renommierten Forschungsgrants Buddhismusgeschichte neu schreiben will.

Jetzt kann es losgehen: Im August beginnt das vom European Research Council (ERC) geförderte Projekt „Buddhist Road“ unter der Leitung von Prof. Dr. Carmen Meinert. Das bald fünfköpfige Forscherteam steht buchstäblich in den Startlöchern, um die Entwicklung des Buddhismus zu einer Weltreligion im zentralasiatischen Raum zu untersuchen. Im Interview berichtet Meinert von ihren Plänen.

Frau Meinert, worum geht es in Ihrem Projekt?
Wir wollen die Geschichte neu schreiben. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung des Buddhismus in einer multi-kulturellen Gesellschaft zwischen dem 6. und 14. Jahrhundert entlang der Oasenstätten im östlichen Zentralasien – also gerade in einem zentralen geografischen Raum zwischen den bekannteren indischen, tibetischen und chinesischen Großreichen. Bisher wurde der Buddhismus noch nicht systematisch als integrative Kraft für vielfältige Gesellschaften unterschiedlicher Oasen erfasst. Die Forschung war fragmentiert je nach dem Fundort der Quellen. Wir wollen dieses Wissen zusammentragen und gemeinsam Bücher verfassen. Wir wollen erforschen, wie die Geisteswelt im östlichen Zentralasien aussah.

Wie kommt es, dass es diese Forschung bisher nicht gab?
Zentralasien wurde bislang als periphere Region betrachtet. Sie stand nicht im Fokus der Sinologie, Tibetologie oder Indologie, weil sie nicht zu den Großreichen China, Tibet und Indien gehörte. Die Oasenstätten dort, in denen sich das gesellschaftliche Leben abspielte, waren kosmopolitische Inseln in einem Meer von Sand. Wir wollen herausfinden, welche Einflüsse aus China, Indien und Tibet es im östlichen Zentralasien gab, gerade welche lokalen Formen des Buddhismus daraus entstanden sind und wie diese wiederum verschiedene Ausprägungen des Buddhismus beeinflusst haben.

Wir sind die erste Gruppe, die sich systematisch mit dem Religionstransfer, also genauer dem Buddhismustransfer in dieser Region als Ganzes befasst. Keine andere Gruppe weltweit hat bislang diese Perspektive eingenommen. Nur Dank des ERC-Grants ist es möglich, ein sehr renommiertes, interdisziplinär ausgerichtetes Expertenteam über fünf Jahre zusammenbringen.

Hier kam der entscheidende Denkanstoß her.

Ich muss dazu sagen, dass ich den ERC-Grant zwar als Person erhalte, dieses Projekt aber nicht ohne die beispiellose institutionelle Unterstützung des Centrums für religionswissenschaftliche Studien, kurz Ceres, und die dortigen Kolleginnen und Kollegen entwickelt werden konnte. Hier kam der entscheidende Denkanstoß her. Wir orientieren uns an dem Ceres-Forschungsprogramm Relational Religion, das der Direktor des Ceres, Volkhard Krech, entwickelt und in einem einfachen Diagramm zusammenfasst hat.

Wie sieht das aus?
Das Ceres-Forschungsprogramm hilft, die Fragen zu beantworten: Was macht eine Weltreligion aus? Was ermöglicht ihre Entwicklung? Es beschreibt das Entstehen eines religiösen Feldes, das zum einen definiert wird durch intra- und interreligiöse Kontakte, die die inneren Grenzen des religiösen Feldes bestimmen. Zum anderen durch Kontakte der Religion zu anderen sozialen Feldern, die die äußeren Grenzen der Religion bestimmen.

Zu den intra- und interreligiösen Kontakten gehören in unserem Fall des zentralasiatischen Buddhismus der Manichäismus und verschiedene Ausprägungen des Buddhismus. Zu Kontakten mit anderen sozialen Feldern gehören unter anderem Wissenschaft, Kunst, Politik und Wirtschaft. Durch sie werden Bereiche des Wissens, der Erfahrung, der Materialität und des Handeln mit einem spezifischen religiösen, hier buddhistisch-gesprägten Sinn ausgestattet.

Bestenfalls entwickeln wir im Laufe des Projektes ein Modell, das übertragbar ist.

Wir wollen so die Entstehung einer Weltreligion an einem Beispiel, dem zentralasiatischen Buddhismus, nachzeichnen. Bestenfalls entwickeln wir im Laufe des Projektes ein Modell, das übertragbar ist auf andere Zeiten, Regionen und Religionen, zum Beispiel auf das Südostasien der Gegenwart, das sehr multi-religiös und multi-kulturell ist.

Den Förderbedingungen des ERC enstprechend werden wir unsere Forschungsergebnisse alle open access auf unserer Webseite veröffentlichen. Zur Visualisierung des globalen Buddhismustransfers und der Herausbildung lokaler Formen werden wir Karten entwickeln, in die man hineinzoomen und auf denen man sich die Ergebnisse ansehen kann.

Auf welche Quellen können Sie zurückgreifen? Werden Sie vor Ort forschen?
Es gibt unermesslich große Manuskriptsammlungen – unter anderem die wohl größte mittelalterliche Manuskriptsammlung der Welt aus der Oase Dunhuang –, die größtenteils von europäischen Expeditionen Anfang des 20. Jahrhunderts gesichert wurden, als die Europäer in Zentralasien neue Gebiete unter ihren Einfluss bringen wollten. Zuvor waren viele dieser Handschriften bis zu etwa 1.000 Jahren in Höhlen verschlossen. Die Europäer haben sie dann mitgenommen, sodass sie sich heute unter anderem in London, Paris und Berlin befinden.

Zum Glück sind über 90 Prozent dieser Quellen inzwischen digitalisiert und katalogisiert, sodass wir von hier aus darauf zugreifen können. Trotzdem werden wir sicherlich auch Reisen unternehmen – zur noch nicht digitalisierten Sankt Petersburger Sammlung und natürlich auch nach Zentralasien. Neben den handschriftlichen Quellen werden wir auch archäologische Funde, Kunstgegenstände und Höhlenmalereien untersuchen. Allein in der Oase Dunhuang befinden sich rund 45.000 Quadratmeter mit Höhlenmalereien.

In welchen Sprachen sind die Texte der Quellen denn verfasst?
Neben Chinesisch und Tibetisch sind das viele ausgestorbene Sprachen wie Alt-Uigurisch, Tangutisch und Khotanesisch. Das Projekt ist aus diesem Grund an viele Voraussetzungen geknüpft. Daher besteht das Team aus sehr erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Neben mir arbeiten Yukiyo Kasai aus Japan, Henrik Sørensen aus Dänemark, Erika Forte aus Italien und Kirill Solonin, ein russischer Kollege, der Professor an der Renmin-Universität in Peking ist, im Projekt.

Also ein sehr internationales Team. Kannten Sie sich alle schon vorher?
Ja, das stimmt, wir tragen wirklich zur Internationalisierung der Ruhr-Universität Bochum mit bei. Einige von uns kannten sich, zum Beispiel weil einige Projektmitarbeiter hier am Käte Hamburger Kolleg „Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa“ als Fellows gearbeitet haben wie Erika Forte, Kirill Solonin und Henrik Sørensen.

Was sind die ersten Schritte, die Sie unternehmen?
Zurzeit sind wir noch mit konzeptionellen Dingen beschäftigt, organisieren die Zusammenarbeit. Im August fahren wir dann zur weltweit größten Buddhismus-Konferenz nach Toronto und stellen unser Vorhaben dort vor.

Unveröffentlicht

Von

Meike Drießen

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